Samstag, 28. April 2012

Rendezvous der Dämmerung


Er sehnte sich nach Ihr, wie er sich seit dem Beginn der Zeit nach ihr sehnte, seit der Stunde in der beide zu existieren begannen, in der gleichen Welt, getrennt und doch untrennbar. Ihre Berührungen seither und von jeher nur flüchtig, intime Splitter der Zeit, die ihn mit ihr verbinden! Voller Geduld wartet Er, Stunde um Stunde, Minute um Minute, immer seinem Zyklus folgend, mal heiter, mal trübe, doch immer in der erwartungsschweren Gewissheit, ihrer Ankunft. Seit dem Anbeginn aller Zeiten hatten sie einander, weinend, strahlend, laut und leise und so selbstverständlich wie ihre Rendezvous im Zwielicht waren, so selbstverständlich war es, dass sie sich nie ganz hatten. Sie gehörten zusammen, wie der Mond und die Sonne zusammen gehörten, die wie Herzen in ihnen wohnten und doch war alles, was ihnen blieb, der flüchtige Kuss der Dämmerung, eine kurze Berührung zur blauen Stunde, bis einer von beiden weichen muss. Und was währt, ist die Sehnsucht nach einer Zeit, nach allen Zeiten in der sie im Halbhellen und Halbdunklen einander haben können. Bis dahin geduldet Er sich, flieht vor ihr und sieht Sie vor ihm fliehen, mit der Erinnerung an Fragmente von Millionen von Begegnungen die kamen und Millionen die noch kommen werden. Er der Leben schenkt, sie die Ruhe bringt, Er der aufweckt, Sie, diejenige, die Schatten und den Schlaf mit sich trägt. Und was beiden bleibt, ist die Hoffnung auf eine Zeit nach allen Zeiten und die Gewissheit um die Endlichkeit aller Dinge.

Patrick Berger
04/2012